Quelle: https://www.kirchenbote.de/auch-wege-zu-gott-gehen-verloren

26.03.2023

Wie gehen Gemeinden mit Kirchenaustritten um?

Auch Wege zu Gott gehen verloren

Die Zahl der Kirchenaustritte steigt dramatisch. Wie gehen Gemeinden damit um? In Quakenbrück entwickelt das Pfarrteam kreative Ideen, um mit
Menschen offen ins Gespräch zu kommen.

Ringen immer wieder um eine gute Zukunft der Seelsorge in der Pfarreiengemeinschaft Artland: (v.l.) Diakon Herbert Macke, Pastor Ralf Krause, Gemeindeleiter Dominik Blum, Diakon Hans Brinkmeier, Gemeindereferentin Gabi Kuhlmann und Gemeindereferentin Monika Robin. Foto: Astrid Fleute

Der Appell ist ernst, die Verzweiflung aufrichtig: „Bitte, sprechen Sie mit uns!“ Der Aufruf, den Gemeindeleiter Dominik Blum und sein Team in den vergangenen Wochen immer wieder im Pfarrbrief, auf der Homepage, in den sozialen Medien gepostet haben, gilt vor allem jenen Menschen, die der katholischen Kirche und der Pfarreiengemeinschaft Artland im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt haben und ausgetreten sind oder dies überlegen. Denn der Blick in die Statistik zeigt einen Trend, der sie ratlos und traurig macht, und den viele Gemeinden im Bistum derzeit erleben: einen dramatischen Anstieg der Kirchenaustrittszahlen. Dominik Blum erklärt: „2022 hatten wir 97 Austritte, dreimal so viele wie 2020. Für uns heißt das, dass pro Woche etwa zwei Personen aus unserer Pfarreiengemeinschaft austreten. Das muss man sich mal vorstellen!“

Für den Theologen ist diese Entwicklung viel mehr als nur ein reines Zahlenkonstrukt. Er betont: „Das ist wirklich ein Verlust für uns. Mit jedem, der die katholische Kirche verlässt, verlieren wir auch Wege zu Gott.“ Und er spricht dabei von „spannenden religiösen Biografien“, von der Vielfalt, „nach Gott zu suchen, nach ihm zu fragen, an ihn zu glauben und an ihm zu zweifeln“, von bestimmten Melodien, „wie man von Gott singen, spielen und erzählen kann“, die unwiederbringlich verlorengingen. Das ärgert, frustiert, sitzt tief, lässt ihn nicht in Ruhe: „Wir möchten doch für die Menschen da sein“, sagt er.

Über die Gründe für einen Austritt können die Verantwortlichen der Pfarreiengemeinschaft nur spekulieren, hat sich bislang doch niemand auf das schriftliche Angebot zum Gespräch, das alle Ausgetretenen erhalten, gemeldet. „Für uns wäre das auf jeden Fall spannend zu erfahren“, sagt Blum. Es gebe dazu auch keine Untersuchungen. „Man erreicht diese Menschen nicht, sie sind einfach weg.“

Sicher sind nur die Angaben in den Statistiken: Sie zeigen, dass die Austrittswelle in Quakenbrück quer durch alle Altersgruppen geht: „Es treten Familien mit Kindern ebenso aus wie Menschen mit weit über 70 Jahren“, sagt der Gemeindeleiter. Besonders weh tut ihm der Blick auf die Namen: „Die Austritte betreffen mittlerweile Familien, die zum Lebensnerv unserer Pfarrei gehören.“ Auch dies ist ein Trend, der bundesweit anzutreffen ist.

In ihrer Ratlosigkeit möchte das Quakenbrücker Pfarrteam aber nicht stehen bleiben. Der Entwicklung einfach zusehen, das wollen sie nicht. So haben sie gemeinsam Ideen entwickelt, wie sie mit Menschen ins Gespräch und in Kontakt kommen können – möglichst bevor diese austreten oder der Frust zu groß wird. Auch im Team ist es immer wieder ein Ringen um den richtigen Weg, die richtige Ansprache. Gemeindereferentin Monika Robin ist es ganz wichtig, offen und ehrlich zu sein, „damit die Menschen sich trauen können, alles zu erzählen.“ Zum Beispiel wenn sie damit hadern, dass die Kinder aus der Kirche ausgetreten sind. Wenn aktive Mädchen und Frauen sich so über althergebrachte Strukturen und Hierarchien ärgern, dass sie austreten, um der Kirche einen Denkzettel zu verpassen, sich aber eigentlich nicht vom Glauben gelöst haben. Ihre Botschaft lautet: „Ihr müsst nicht heile Welt vor uns spielen. Ihr dürft uns das sagen, wir verurteilen das nicht. Ich leide genauso an der Kirche, bin auch auf der Suche nach einem guten Weg.“ Monika Robin kann sich gut vorstellen, in Gruppen wie der Schola oder in Familienkreisen offene Gesprächsabende anzubieten zum Thema „Was lässt uns noch da?“. Sie betont: „Solche Gespräche kann man nicht zwischen Tür und Angel führen.“

Ein offener Stammtisch – Motto: „Mir reicht’s“

Auch Diakon Hans Brinkmeier sind derartige Angebote wichtig. Oft erfährt er bei Trauer-, Tauf- oder Hochzeitsgesprächen von Sorgen, Frust und letzten Konsequenzen. Um darauf näher einzugehen, sei in diesem Setting aber oft nicht der Platz. Er betont: „Wir müssen da hinterhergehen. Wir können nicht einfach sagen: Schön, dass du da warst.“

Ein „Weckruf“ sind die Zahlen für Diakon Herbert Macke: „Das ist auch eine Protesthaltung.“ Er macht sich Sorgen um die Menschen, die ausgetreten sind: „Sie bleiben orientierungslos zurück. Was machen sie bei Schicksalsschlägen? Die Suche ist doch weiter da.“ Er möchte den Menschen zeigen: „Kirche ist nicht nur der Bischof. Es ist auch das Soziale Kaufhaus, das soziale Engagement, das Leben der Gemeinde vor Ort.“ Man müsse den Glauben am Handeln erkennen. Denn grundsätzlich sei der Glaube immer noch ein Thema. Das berichtet auch Gabi Kuhlmann.  Als Krankenhauseelsorgerin begleitet sie kranke und sterbende Menschen, feiert Gottesdienste, spendet Segen und Trost. „Seelsorge, damit verbinden die Menschen etwas. Das schätzen sie gerade in Notsituationen sehr wert. Das ist für sie positiv Kirche.“

„Was erwarten die Menschen von uns?“ Diese Frage treibt das Pfarrteam weiter um. Die Antwort suchen sie künftig wohl auch auf dem Marktplatz, in der Öffentlichkeit. Ein monatlicher offener Stammtisch schwebt ihnen vor. Ein Motto könnte sein: „Mir reicht’s“. Sie wollen „auf charmante Weise“ nachhaken, betont Dominik Blum und denkt laut nach: „,Sagt uns, was ihr denkt‘ oder ,Das geht auf unseren Deckel‘, das wären doch Schlagworte.“ Ganz wichtig ist es ihm dabei zu zeigen, dass wir „hören und lernen wollen“. Monika Robin denkt schon weiter: Auch aus diesen Gesprächen könnten wieder neue gute Ideen entstehen. Es sei eine Chance, von den Menschen zu hören, viel mehr Menschen zu Wort kommen zu lassen, ehrliches Interesse zu zeigen.

Und wenn es zu viel Kritik hagelt? Herbert Macke ist zuversichtlich – und realisitisch. Er sagt: „Wir müssen den Kopf nicht in den Sand stecken, wir sind Teil der Gesellschaft – und nicht vollkommen.“

Astrid Fleute

Wer mit der Pfarreiengemeinschaft ins Gespräch kommen möchte, kann sich melden unter Telefon 0 54 31/44 02 oder per E-Mail: